Drachenkinder

4/21/2017
»Schlagen sie sich diesen Gedanken gleich aus dem Kopf«, sagte Ethem. »Ich kaufe ihn nicht.«
Es war nicht höflich, Ethem bei seinen Geschäften zu belauschen, doch er sprach mit seinen Kunden nie so nah an dem Haus, in dem wir lebten. Ich hockte im Schatten, während die Hitze auf die trockene Erde knallte, und versuchte mit meinen Fingern die Gläser, in denen Ethem seine Tränke braute, sauber zu bekommen. Doch die Rückstände, meist waren es merkwürdige Substanzen, waren ohne die richtigen Mittel schwer abzubekommen. Zudem war meine Aufmerksamkeit auf das Gespräch gerichtete, welches ein aufgebrachter Mann mit Ethem, den ich als Ziehvater sah, führte.
»Aber sie haben doch schon so eine«, sagte der Mann und mir wurde von einem Augenblick zum Anderen speiübel. Mein Magen rebellierte plötzlich und ich musste mich beherrschen, um keinen Laut von mir zu geben, oder dem Boden mein Frühstück anzuvertrauen.
Ich wusste, von wem dieser Mann dort sprach.
Von mir.
Um es besser zu sagen, von meiner Art. Er wollte jemanden von meiner Art an Ethem verkaufen. Ich versuchte krampfhaft nicht zu brechen, doch die Übelkeit regierte den größten Teil meines Körpers. Es passierte immer, wenn mich jemand in meiner Würde kränkte. Es war egal, ob ein anderer Magier oder Hexenmeister vorbeikam, mich ansah und mich bemitleidete, oder Ethem fragte, wie er jemanden wie mich halten konnte.
Viele behandelten mich wie ein Tier.
Selten traf ich auf Besucher, die mich auf gleicher Höhe wie Ethem sahen. Selten bekam ich überhaupt andere Menschen zu Gesicht, was daran lag, dass ich ein Drachenkind war.
»Ich bitte Sie, Ethem, er ist dem Tod so nah und sie haben Erfahrung mit solchen Dingern. Bei uns würde er nicht überleben«, sagte der Mann flehend.
Von wem auch immer dieser Mann sprach, er wollte ihn unbedingt loswerden und auf eine mir unheimliche Art tat mit das Drachenkind leid, von dem dieser Kunde sprach. Drachenkinder, wie ich eines war, waren unheimlich seltene Kinder, die mit den Drachengenen geboren wurden. Äußerlich sahen wir aus wie jeder Feuerbändiger, wie jeder Hexenmeister, jeder Magier und jeder Nicht-Magische in Avem, nur ein kleines Mal verriet unsere Fähigkeiten der Zerstörung. Wir wurden nicht umsonst Drachenkinder genannt, denn unsere Gabe lag darin, dass wir die Drachen rufen und verstehen konnten.
Ein Drache war ein unheimlich mächtiges Geschöpf, in der Lage eine ganze Stadt zu zerstören, nur wenige kannte das Handwerk, sie zu zügeln.
Aus Angst, ein Kind würde einen Drachen rufen, der die Heimat zerstört, überlebten viele meiner Art ihre ersten Lebenswochen nicht. Zudem galt in vielen Orten ein hartes Gesetz, welches vorgab, die Eltern eines Drachenkindes und sogar die gesamte Familie, zum Tode zu verurteilen.
Ich hatte das Glück, dass meine Mutter mich als lebenswürdig betrachtete und mich nicht zum Sterben in die Wüste gebracht hatte, sondern zu einem Magier, der Ahnung von Drachenkindern hatte. Richtig aufgenommen fühlte ich mich bei Ethem nicht, es war so, als würde er an mir vorbei leben, doch das kleine Zuhause, was ich bei ihm hatte, wusste ich zu schätzen. Außerdem, was brachte es mir, abzuhauen? Die Welt außerhalb von Ethems Grundstück würde mich weder mit offenen Armen empfangen, noch garantieren, dass ich es überleben würde.
»Wie hat er denn überhaupt so lange gelebt, Cathal? Er muss mindestens ein Jahr älter als Aeryn sein und sie kam bereits mit drei Wochen zu mir. Du weiß, was geschieht, wenn ein Drachenkind ungemeldet in Avem lebt und noch nicht einmal beherrscht wird.« Ethems Stimme war ruhig und ich schluckte, als er über mich zu reden begann.  Er beherrschte mich nicht, er beeinflusste nur meine Kräfte, damit ich keinen Drachen rufen konnte.
»Ich … ich …«, stammelte Cathal.
»Cathal, ich möchte dir nichts vorwerfen, aber ich kann keinen Jungen aufnehmen, der unter Schutz eines anderen Magiern stand. Ich will jedenfalls für dich hoffen, dass er unter Schutz stand.«
»Nein, er stand nie unter Schutz. Er wurde von seinen Eltern im Kellern gehalten»«, sagte der Mann. Meine Hand rutschte ab und landete auf dem Boden der Schale, in der das Wasser stand. Ich sah, dass sie anfing zu zittern, denn dieses Gespräch tat mir nicht gut. Ethem antwortete etwas, was ich nicht verstand, mein Herz raste und ich versuchte verzweifelt meine Hand aus dem Wasser zu zerren, doch die Panik war stärker als meine strukturierten Gedanken..
»Bitte, Ethem. Denke doch mal an Aeryn, sie wohnt nun schon siebzehn Jahre bei dir. Meinst du nicht, sie fühlt sich allein gelassen? Gut gehst du ja nicht immer mit ihr um. Wäre es für sie nicht von Vorteil, wenn sie noch jemanden hätt, der so ist wie sie, mit dem sie wirklich reden könnte?« Cathal wurde immer lauter und der Mann von vorhin, der gebettelt hatte, war gänzlich aus seiner Stimme verschwunden.
»Aeryn geht es gut, ein Junge würde sie nur durcheinander bringen«, sagte Ethem bestimmt. Ich hasste es, wenn er über mich sprach, als würde er mich wirklich kennen und wissen, was gut für mich sei, wobei er mich noch nicht einmal eine Minute durchgängig anschauen konnte.
»Ethem, bitte. Ich bin gekommen, um Aodh vor dem Tod zu retten. Der Rat kommt immer unserem Dorf immer näher, wenn er entdeckt wird, ist das der Untergang seiner Familie«, sagte Cathal durchdringend. »Wieso fragst du nicht einfach Aeryn? Ich bin wirklich der Überzeugung, dass ihr euer Leben in Einsamkeit endlich einmal aufgeben solltet und Aodh wäre der perfekte Anfang. Er weiß, was er will, nimmt aber Rücksicht auf seinen Herren.«
Aodh. Ich fand der Namen des Jungen, der das Schicksal ein Drachenkind zu sein mit mir teilte, hatte einen schönen Klang.
»Herren? Cathal, ich weiß, dass Drachenkinder zu einer ethnischen Minderheit gehören, aber warum hast du den Jungen zu einem Sklaven erzogen? Das käme noch nicht einmal mir in den Sinn!«
»Ich habe ihn nicht zu einem Sklaven erzogen, ich liebe Aodh und will nur das Beste für ihn. Du kannst mir doch nicht sagen, dass dir das Schicksal von Aeryn gleichgültig sei, oder?«
Ethem reagierte nicht, dafür hörte ich das Lachen von Cathal und augenblicklich erschien sein Gesicht hinter der Ecke des Hauses. Das Blut in meinen Adern gefror zu Eis und ich fiel nach hinten, die Hände endlich aus dem Wasser gelöst.
Der Mann machte mir Angst, sein schmales Gesicht, seine fahlen blonden Haare und sein verschmitztes Grinsen, mit dem er genau auf mich zukam.
»Ich war schon immer mächtiger als du und wenn du meinem Willen nicht Folge leisten willst, geliebter Ethem, so werde ich ihn wohl erzwingen müssen.« Ich konnte Ethem nicht erkennen, doch mein Herz hoffte, er würde hinter Cathal stehen, der mir unheimlich nahe war und schließlich vor meinen Füßen stehen blieb.
»Hallo Aeryn«, sagte er mit einem süffisanten Lächeln. »Es ist so schön, dich kennenzulernen. Was ich jetzt tun werde, tut mir unendlich leid.«
Ich zuckte zusammen, als er seine Hände ausstreckte und ein kühler Wind meine Haut streifte. Ich erwartete Schmerzen, doch als der Wind nachließ, fühlte ich mich freier.
»Rufe deinen Drachen«, befahl Cathal.
»Nein, Aeryn, nein«, schrie nun Ethem. Er packte die Arme von Cathal und zog ihn auf den Boden. Cathal lachte nur.
»Wenn wir untergehen, meine Freund, dann zusammen. Sobald ihr Drache ihren Ruf hört, wird man dich und mich verurteilen«, schrie Cathal.
Ich schüttelte den Kopf, es war das letzte, was ich wollte. Was sollte ich mit einem Drachen?
»Nein«, flüsterte ich. »Ich will nicht.«
Ich schaute zu Ethem und er erwiderte meinen hilfesuchenden Blick. Doch er tat nichts. Er sah mich nur an, als wüsste er, was passieren würde. Ich schloss die Augen, die Tränen begannen zu fließen.
»Du hast mich gerufen, Aeryn?«, fragte plötzlich eine helle Stimme. Ich öffnete die Augen und drehte mich langsam um, dorthin, wo ich die Stimme vermutete.
Mein Herz setzte für einen Satz aus, mir stockte der Atem und ein Gefühl durchströmte mich, welches ich zuvor noch nie gefühlt hatte.
Es war wie ein Wunder – vor meinen Augen stand ein Drache. Ein wahrhaftiger Drache, mit ausgebreiteten Flügeln, kräftigen Pranken, einem triumphierenden Rumpf; sein Schatten überwarf Ethems Haus und die Schuppen glänzten rot-golden in der Nachmittagssonne. Die grünen Drachenaugen trafen meine und ich spürte das große Herz im Inneren des Drachens pochen, im gleichen Takt wie mein eigenes.
»Mein Name ist Slevia, ich bin gekommen, um dir ein Stück meiner Freiheit zu schenken.«  


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