Drachenkinder
»Schlagen
sie sich diesen Gedanken gleich aus dem Kopf«, sagte Ethem. »Ich kaufe ihn
nicht.«
Es war
nicht höflich, Ethem bei seinen Geschäften zu belauschen, doch er sprach mit
seinen Kunden nie so nah an dem Haus, in dem wir lebten. Ich hockte im
Schatten, während die Hitze auf die trockene Erde knallte, und versuchte mit
meinen Fingern die Gläser, in denen Ethem seine Tränke braute, sauber zu
bekommen. Doch die Rückstände, meist waren es merkwürdige Substanzen, waren
ohne die richtigen Mittel schwer abzubekommen. Zudem war meine Aufmerksamkeit
auf das Gespräch gerichtete, welches ein aufgebrachter Mann mit Ethem, den ich
als Ziehvater sah, führte.
»Aber
sie haben doch schon so eine«, sagte der Mann und mir wurde von einem
Augenblick zum Anderen speiübel. Mein Magen rebellierte plötzlich und ich
musste mich beherrschen, um keinen Laut von mir zu geben, oder dem Boden mein
Frühstück anzuvertrauen.
Ich
wusste, von wem dieser Mann dort sprach.
Von
mir.
Um es
besser zu sagen, von meiner Art. Er wollte jemanden von meiner Art an Ethem
verkaufen. Ich versuchte krampfhaft nicht zu brechen, doch die Übelkeit
regierte den größten Teil meines Körpers. Es passierte immer, wenn mich jemand
in meiner Würde kränkte. Es war egal, ob ein anderer Magier oder Hexenmeister
vorbeikam, mich ansah und mich bemitleidete, oder Ethem fragte, wie er jemanden
wie mich halten konnte.
Viele
behandelten mich wie ein Tier.
Selten
traf ich auf Besucher, die mich auf gleicher Höhe wie Ethem sahen. Selten bekam
ich überhaupt andere Menschen zu Gesicht, was daran lag, dass ich ein
Drachenkind war.
»Ich
bitte Sie, Ethem, er ist dem Tod so nah und sie haben Erfahrung mit solchen
Dingern. Bei uns würde er nicht überleben«, sagte der Mann flehend.
Von wem
auch immer dieser Mann sprach, er wollte ihn unbedingt loswerden und auf eine
mir unheimliche Art tat mit das Drachenkind leid, von dem dieser Kunde sprach.
Drachenkinder, wie ich eines war, waren unheimlich seltene Kinder, die mit den
Drachengenen geboren wurden. Äußerlich sahen wir aus wie jeder Feuerbändiger,
wie jeder Hexenmeister, jeder Magier und jeder Nicht-Magische in Avem, nur ein
kleines Mal verriet unsere Fähigkeiten der Zerstörung. Wir wurden nicht umsonst
Drachenkinder genannt, denn unsere Gabe lag darin, dass wir die Drachen rufen
und verstehen konnten.
Ein
Drache war ein unheimlich mächtiges Geschöpf, in der Lage eine ganze Stadt zu
zerstören, nur wenige kannte das Handwerk, sie zu zügeln.
Aus
Angst, ein Kind würde einen Drachen rufen, der die Heimat zerstört, überlebten
viele meiner Art ihre ersten Lebenswochen nicht. Zudem galt in vielen Orten ein
hartes Gesetz, welches vorgab, die Eltern eines Drachenkindes und sogar die
gesamte Familie, zum Tode zu verurteilen.
Ich
hatte das Glück, dass meine Mutter mich als lebenswürdig betrachtete und mich
nicht zum Sterben in die Wüste gebracht hatte, sondern zu einem Magier, der
Ahnung von Drachenkindern hatte. Richtig aufgenommen fühlte ich mich bei Ethem
nicht, es war so, als würde er an mir vorbei leben, doch das kleine Zuhause,
was ich bei ihm hatte, wusste ich zu schätzen. Außerdem, was brachte es mir,
abzuhauen? Die Welt außerhalb von Ethems Grundstück würde mich weder mit
offenen Armen empfangen, noch garantieren, dass ich es überleben würde.
»Wie
hat er denn überhaupt so lange gelebt, Cathal? Er muss mindestens ein Jahr
älter als Aeryn sein und sie kam bereits mit drei Wochen zu mir. Du weiß, was
geschieht, wenn ein Drachenkind ungemeldet in Avem lebt und noch nicht einmal
beherrscht wird.« Ethems Stimme war ruhig und ich schluckte, als er über mich
zu reden begann. Er beherrschte mich
nicht, er beeinflusste nur meine Kräfte, damit ich keinen Drachen rufen konnte.
»Ich …
ich …«, stammelte Cathal.
»Cathal,
ich möchte dir nichts vorwerfen, aber ich kann keinen Jungen aufnehmen, der
unter Schutz eines anderen Magiern stand. Ich will jedenfalls für dich
hoffen, dass er unter Schutz stand.«
»Nein,
er stand nie unter Schutz. Er wurde von seinen Eltern im Kellern gehalten»«,
sagte der Mann. Meine Hand rutschte ab und landete auf dem Boden der Schale, in
der das Wasser stand. Ich sah, dass sie anfing zu zittern, denn dieses Gespräch
tat mir nicht gut. Ethem antwortete etwas, was ich nicht verstand, mein Herz
raste und ich versuchte verzweifelt meine Hand aus dem Wasser zu zerren, doch
die Panik war stärker als meine strukturierten Gedanken..
»Bitte,
Ethem. Denke doch mal an Aeryn, sie wohnt nun schon siebzehn Jahre bei dir.
Meinst du nicht, sie fühlt sich allein gelassen? Gut gehst du ja nicht immer
mit ihr um. Wäre es für sie nicht von Vorteil, wenn sie noch jemanden hätt, der
so ist wie sie, mit dem sie wirklich reden könnte?« Cathal wurde immer lauter
und der Mann von vorhin, der gebettelt hatte, war gänzlich aus seiner Stimme
verschwunden.
»Aeryn
geht es gut, ein Junge würde sie nur durcheinander bringen«, sagte Ethem
bestimmt. Ich hasste es, wenn er über mich sprach, als würde er mich wirklich
kennen und wissen, was gut für mich sei, wobei er mich noch nicht einmal eine
Minute durchgängig anschauen konnte.
»Ethem,
bitte. Ich bin gekommen, um Aodh vor dem Tod zu retten. Der Rat kommt immer
unserem Dorf immer näher, wenn er entdeckt wird, ist das der Untergang seiner
Familie«, sagte Cathal durchdringend. »Wieso fragst du nicht einfach Aeryn? Ich
bin wirklich der Überzeugung, dass ihr euer Leben in Einsamkeit endlich einmal
aufgeben solltet und Aodh wäre der perfekte Anfang. Er weiß, was er will, nimmt
aber Rücksicht auf seinen Herren.«
Aodh.
Ich fand der Namen des Jungen, der das Schicksal ein Drachenkind zu sein mit
mir teilte, hatte einen schönen Klang.
»Herren?
Cathal, ich weiß, dass Drachenkinder zu einer ethnischen Minderheit gehören,
aber warum hast du den Jungen zu einem Sklaven erzogen? Das käme noch nicht einmal
mir in den Sinn!«
»Ich
habe ihn nicht zu einem Sklaven erzogen, ich liebe Aodh und will nur das Beste
für ihn. Du kannst mir doch nicht sagen, dass dir das Schicksal von Aeryn
gleichgültig sei, oder?«
Ethem
reagierte nicht, dafür hörte ich das Lachen von Cathal und augenblicklich
erschien sein Gesicht hinter der Ecke des Hauses. Das Blut in meinen Adern
gefror zu Eis und ich fiel nach hinten, die Hände endlich aus dem Wasser
gelöst.
Der
Mann machte mir Angst, sein schmales Gesicht, seine fahlen blonden Haare und
sein verschmitztes Grinsen, mit dem er genau auf mich zukam.
»Ich
war schon immer mächtiger als du und wenn du meinem Willen nicht Folge leisten
willst, geliebter Ethem, so werde ich ihn wohl erzwingen müssen.« Ich konnte
Ethem nicht erkennen, doch mein Herz hoffte, er würde hinter Cathal stehen, der
mir unheimlich nahe war und schließlich vor meinen Füßen stehen blieb.
»Hallo
Aeryn«, sagte er mit einem süffisanten Lächeln. »Es ist so schön, dich
kennenzulernen. Was ich jetzt tun werde, tut mir unendlich leid.«
Ich
zuckte zusammen, als er seine Hände ausstreckte und ein kühler Wind meine Haut
streifte. Ich erwartete Schmerzen, doch als der Wind nachließ, fühlte ich mich
freier.
»Rufe
deinen Drachen«, befahl Cathal.
»Nein,
Aeryn, nein«, schrie nun Ethem. Er packte die Arme von Cathal und zog ihn auf
den Boden. Cathal lachte nur.
»Wenn
wir untergehen, meine Freund, dann zusammen. Sobald ihr Drache ihren Ruf hört,
wird man dich und mich verurteilen«, schrie Cathal.
Ich
schüttelte den Kopf, es war das letzte, was ich wollte. Was sollte ich mit
einem Drachen?
»Nein«,
flüsterte ich. »Ich will nicht.«
Ich
schaute zu Ethem und er erwiderte meinen hilfesuchenden Blick. Doch er tat
nichts. Er sah mich nur an, als wüsste er, was passieren würde. Ich schloss die
Augen, die Tränen begannen zu fließen.
»Du
hast mich gerufen, Aeryn?«, fragte plötzlich eine helle Stimme. Ich öffnete die
Augen und drehte mich langsam um, dorthin, wo ich die Stimme vermutete.
Mein
Herz setzte für einen Satz aus, mir stockte der Atem und ein Gefühl
durchströmte mich, welches ich zuvor noch nie gefühlt hatte.
Es war
wie ein Wunder – vor meinen Augen stand ein Drache. Ein wahrhaftiger Drache,
mit ausgebreiteten Flügeln, kräftigen Pranken, einem triumphierenden Rumpf;
sein Schatten überwarf Ethems Haus und die Schuppen glänzten rot-golden in der
Nachmittagssonne. Die grünen Drachenaugen trafen meine und ich spürte das große
Herz im Inneren des Drachens pochen, im gleichen Takt wie mein eigenes.
»Mein
Name ist Slevia, ich bin gekommen, um dir ein Stück meiner Freiheit zu
schenken.«
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